Von Gastautor Monsieur Porneaux
Es war schon immer schwierig, Gedichte zu schreiben.
Immer diese Forderung nach Reim oder wenigstens Stabreim, nach Hebungen und Versform gar, kurz: es ist ein mühsames Geschäft.
Die deutschen Expressionisten nahmen sich vor 1oo Jahren der Sache an und verwarfen einfach all diese Regeln - heraus kam, wenn’s gut ging, durchaus achtenswerte Poesie, was aber daran lag, dass die Autoren eben genau wussten, was sie taten.
Es scheint sich bei Texten übrigens ähnlich wie bei Zeichnungen zu verhalten, über die Thies’ und mein alter Zeichenlehrer bemerkte,
"Zeichnen ist wie Politik: wenn man eine Tatsache verdrehen will, muss man diese Tatsache vorher sehr gut kennen."
Womit er sagen wollte: wenn man eine Hand zeichnerisch abstrahiert darstellen will, muss man sehr genau wissen, wie eine Hand eigentlich aussieht und man sollte sie auch realistisch abbilden können; erst dann sollte man sich der Aufgabe stellen, eine Hand abstrahiert darzustellen.
Anders gesagt: man sollte die Regeln kennen und beherrschen, bevor man sie bricht.
Zurück zur Poesie.
So richtig schlimm wurde es mit dieser Form der von den Expressionisten propagierten regellosen Dichterei eigentlich erst in den späten 6o’ern/ frühen 7o’ern - ich erinnere nur an die Gedichte Erich Frieds: der größte Teil seiner Dichtung erregte zumindest in deutschsprachigen Gymnasien dieser Zeit entweder Betroffenheit (der Thematik der Gedichte wegen) oder aber verhaltene Heiterkeit (der fast durchweg misslungenen Form wegen).
Fried aber wurde kurz darauf durchaus scheinbar mühelos übertroffen von der damals noch im "Lucy Körner Verlag" verlegten Kristiane Allert-Wybranietz; vermutlich, da sich ihre Werke - anders als bei Fried - nicht um schwerwiegende politische Inhalte drehten (deren Aussage man damals in politisch korrekten Kreisen um keinen Preis in Frage stellte, daher die oben zitierte verhaltene Heiterkeit), sondern um einfache kleine private Alltagsbegebenheiten oder -sachverhalte, die durch die Form der sogenannten "Knickprosa" quasi "geadelt" werden sollten.
"Als Knickprosa", so führte ein mit mir befreundeter Literaturwissenschaftler aus, "bezeichnet man mehr oder minder kurze, gern auch grammatikalisch verschwurbelte Prosasätze, denen eine schwerwiegende Bedeutung auferlegt werden soll, indem man sie auseinanderpflückt und die einzelnen Satzteile oder Worte durch Zeilentrennung untereinandersetzt, um die Schwere der Gedanken zu betonen.
Die Autoren solcher Knickprosa kennen zumeist einfach keine andere Gedichtform und können nicht anders schreiben."
Als äußerst gelungenes Beispiel für solche "Knickprosa" möchte ich hier ein Gedicht von Frau K. Allert-Wybranietz einfügen:
Definitionssache
Wenn wir einander
verstehen, umarmen,
zusammen lachen und
traurig sind,
wenn wir unsere Nähe
als wohltuend empfinden
und manchmal den
Weg auseinander
nicht gerne gehen ...
Du
und ich ...
was ist das?
Liebe darf es nicht sein,
da wir offiziell
anderweitig verliebt
zu sein haben.
Ich muss gestehen, schon dieses kleine Beispiel zaubert ein zartes anzügliches Grinsen um meine Mundwinkel.
Es juckt einem ja geradezu in den maliziös zuckenden kleinen Zehnfingern, etwas nach gleichem Strickmuster herunterzuschreiben … ach was, ich probier’s mal:
Du und Ich
Ich
wollte
Dir die
Hand reichen …
doch Du
gabst mir
nur
die
Faust
Aaaaaaaaaaaaaaahhhhhh - - - jetzt weiß ich, warum manche Leute so schreiben müssen: es löst den Druck im Hirn.
Die Stimmen im Kopf beruhigen sich … die Schmerzen lassen nach …
Knickprosa, eben.
Von Leuten, die einfach nicht anderes können.
Für Leute, die einfach nichts anderes kennen.