Teure Chinoiserien und fernöstliche Naïveté

Schon merkwürdig.

Vor an die hundert Jahren haben gebildete Mitteleuropäer sich die Salons und Kleiderschränke für teures Geld mit asiatisch anmutendem Kram vollgemacht und diese Mode mit Titeln wie "Chinoiserie" zu veredeln gesucht.
Heute bemühen sich chinesische Täschnereigroßbetriebe (aber auch dortige Hersteller von Motorsägen, Eierbechern und überhaupt jedem denkbaren Krimskrams) mit großem Engagement darum, westlich-europäische Markenprodukte weitestgehend nah am Original zu imitieren.
Aber eben nicht, weil sie die Marken so mögen täten, sondern vielmehr wegen des damit zu verdienenden Geldes. Also auch nicht, um dies Zeug dann im heimischen Haushalt zu verwahren, sondern, um über Webseiten wie die hier zu verticken. (Nun frage mich keiner, wie und warum ich auf diesen Online-Shop gestoßen bin.) Und so wollte ich mich auch erst über die Frechhheit der Chinesen* empören, die hier versuchen, Kunden mit Markenmogeleien das Geld aus der Tasche zu ziehen –  bis der Text auf der Website zum Thema "Wir über uns" sogleich ein breites Lächeln auf mein Gesicht gezaubert...
Ich zitiere (und hebe einzelne Bemerkwürdigkeiten unauffällig farbig hervor):
Lieber Freund, herzlich willkommen auf unserer Longchamp Shop zu besuchen. Hier ist das Aufmarschgebiet für Schönheit, Mode und Persönlichkeit, und wir verkaufen alle Art von Taschen, Behälter, Taschen und so weiter, haben jeden von ihnen unterschiedlicher Größe und niedrigster Preis.
Wie wir haben ein professionelles Team und wir betonen, dass Kunden die Interessen über alles andere und unsere Kunden in der ganzen aufrührerische, surrealistische, die Tasche sehen Sie in unserer Website unbedingt die neuesten und heißesten. Und die Produkte die wir verkaufen, haben die höchste Qualität und niedrigster Preis so alles, was Sie tun müssen, ist hier einkaufen, ohne Zweifel.
Und nachdem Sie bezahlt haben wir senden Ihnen die Bestätigung und alle Ihre persönlichen Daten werden nie Offenlegung oder verkauft werden. So, nachdem Sie eine oder mehrere in unserer Website kaufte das einzige, was Sie tun müssen, ist auf den Postboten warten auf die Sende-Paket an Sie Tür."

Das hat mich natürlich überzeugt.
Meine misstrauische Frau aber riet mir, auch noch mal nach den Datenschutzmodalitäten zu schauen und, siehe da, auch hier gab's fundierte Informationen unter einladend leckerem Titel:
Kekse
Und da wusste ich, wer so lustig und liebevoll lügt, kann nicht vollkommen schlecht sein. Wir haben dann gleich drei Taschen (Typ: Shopper Weinrot Tote Dame) bestellt.

*Die Themen wie dieses besprechenden Foren
im Netz jedenfalls schieben alles auf China
– da will ich nicht widersprechen.

Einige unordentliche Gedanken...

(...entstanden aus Anlass einer Reihe von Aufräumungs- und Wiederaufbau-Arbeiten. )

Meine Damen und Herren, herznich winnkommen zur 1. Ziehung der Nottozahnen in diesem Jahr. Der Aufsichtsbeamte hat sich von der Vollzähnigkeit und dem ordnungsgemäßen Sitz anner 32 Zähne überzeugt. Mit etwas Gnück...
(...) 
Und der erste Zahn ist:
(...)
Unten rechts Sechs.
(...)
Zusatzzahn:
(...)
Kostet.

Wenn die Biber nicht ständig Bäume zernagten, wüchsen ihre Schneidezähne lang und länger. Ich darf jetzt mit rechts eine Zeitlang nicht kauen. Da bin ich aber mal neugierig.



Möchten Sie ein bisschen Musik?
Gerne.
Mit den Zähnen klappern ist wie Musik.


 "Das Übel an der Wurzel packen." Hm. Mussassein?


Wurzelspitzenresektion: Klingt ein bisschen nach Medizin, aber auch nach einem Fachbegriff für Köche und Gourmets. Ganz feine Möhren. Dazu gibt's dann Kalbsspitzen.


Wobei, eine SuperSpitzenResektion war das ja grad nicht vor zwei Jahren, Herr Kieferchirurg, sonst säße ich nicht schon wieder hier. Und ist ein Waldarbeiter eigentlich auch auch eine Art Kieferchirurg, haha? Aua. 


Mehr Musik? "Über sieben Brücken musst Du gehn."


Entzündung? Na, das kann ja Eiter werden.


Wenn man so eine Behandlung mal konsequent – modisch, ästhetisch wie praktisch – zu Ende denkt, sollte man sich eigentlich z.B. jeden zweiten Zahn entfernen lassen.
  • Modisch: Das ergibt beim Lächeln ein krasses Karomuster oder Streifenmuster.
  • Ästhetisch: Schlus mit der Stocherei und dem Gepuhle hinter vorgehaltener Hand im Restaurant.
  • Praktisch: Man spart sich Zwischenraumbürste und Zahnseide.
Geht auch Klaviertastenmuster?


Das Glas ansetzen, trinken wollen, aber das Gefühl haben, es säße gar nicht an der Lippe. Lippe? Lippe!? Wo ist meine Lippe!? (Ahja, da ist sie ja, das Ding, was da so blutet.)


"Übrigens lassen sich Orthopäden nie am Knie operieren, und Zahnärzte leben prima mit Lücken."
erzählt ein Zahnarzt.


Zahnweh goes Zahnfee.


Das war's für heute, ich hoffe, es hat nicht allzusehr wehgetan. Auf jeden Fall wird's besser, wahrscheinlich. Bis zum nächsten Gewinnausspülung und denken Sie daran, alle Angaben sind wie immer ohne Gewähr. 






Wie nennt man eigentlich das Gegenteil von Euphemismus?

(Vorweg für alle, die mit diesem Wort doch etwas fremdeln: Ein Euphemismus ist ein schönfärbendes Wort, ein Begriff, der Schlimmes oder Häßliches harmlos und freundlich klingen lässt oder lassen soll. Ein "Entsorgungspark" z.B. kann eine Anlage zur "Verwertung" von "Wertstoffen" sein, zu deusch: eine Fabrik zur Verbrennung von Plastikmüll oder zum Verbuddeln von Castoren. 
Unsere Sprache ist voll von solchen Euphemismen. "Casting-Show" ist das schönere Wort für "Öffentliche Demütigung", "Gefahrengebiet" wurde jüngst zum Zweitnamen für die merkwürdige Vermischung von Exekutive und Legislative, und schon seit Längerem kann die "geordnete Insolvenz" (also: die absehbare Pleite) einen Mitarbeiter unter die Betreuung der "Arbeitsagentur" zwingen und wer das mal erlebt hat, kriegt, im Wortsinn, einen völlig neuen Begriff vom Begriff "Kunde."

So weit, so ungut, ich will das hier nicht vertiefen. Ganz im Gegenteil.)

Mir geht es eben um das:
Es gibt da eine seit Jahrzehnten erfolgreiche und kreative Werbegentur, die vertritt – von der ersten Minute ihres Bestehens an – die folgende Philosophie* Die Agentur verkündet, dass Marketing-Kommunikation in Zeiten der freiwilligen Mediennnutzung attraktiver denn je sein müsste. Da hat sie Recht, die Agentur. Und schließt daraus messerscharf, Marketing-Kommunikation müsste ein Geschenk sein... – und bis hier folge ich noch, aber dann nicht mehr: – ein Geschenk wie das Trojanische Pferd.


Screenshot (Ausschnitt) der Agentur-Website:
Das Denken den Pferden überlassen?

Hallo?

Meinen wir den Holzgaul, der den Trojanern nach Jahren der Belagerung durch die Griechen vor die Tür gestellt wurde? Das Pferd, das die Trojaner als Abschiedgeschenk der scheinbar kapitulierenden Belagerer missverstanden und auch gleich in die Stadt schleppten? Also meinen wir tatsächlich dieses sich als freundlicher Klepper tarnende Versteck für eine Handvoll blutrünstiger griechischer Krieger, die nachts, als alle Trojaner schliefen, deren Untergang besiegelten? Echt?
Echt.
Denn das Trojanische Pferd findet sich sogar im Logo der Agentur, das wiederum schön groß auch auf seine Fassade* gemalt wurde.
Hm.
Also muss ich bei erfolgreicher Marketingkommunikation nach der Definition dieser Agentur immer damit rechnen, das meine Familie – natürlich nur in übertragenem Sinn – massakriert und mein Heim – selbstverständlich nur bildlich gesprochen – niedergebrannt wird? Das will ich aber gar nicht. Das finde ich nicht gut.

Womit ich bei der Antwort auf Anfangsfrage wäre: Natürlich gibt es ein Wort für das  Gegenteil von Euphemismus. Es heißt Dysphemismus. Diese rhetorische Figur wird bevorzugt in politischen oder gesellschaftlichen Konflikten  angewandt, indem z.B. Autonome durchweg als Chaoten und Polizisten von der Gegenseite zu Bullen ernannt werden... das Übliche halt.

Aber in der Werbung?
Na ja, wie findet doch ein leitender Mitarbeiter dieser Agentur: Hauptsache, man redet drüber, – egal was. Weshalb wohl diese steile Selbstbeschreibung immer wieder und wieder varriiert, vertieft wiederholt und penetrant penetriert wird.

Liebe Leute: Getretener Quark wird breit, nicht stark.
Das gilt auch in der Reklame.




*Auch so ein Quatsch, dass jede Firma gleich eine "Philosophie", gar ein "Credo" vor sich her trägt, wo man froh sein muss, wenn sie eine Haltung  hat.
**Das erwähnte Pferdebild übrigens blieb über Jahre unbeschädigt, und das mitten im Schanzenviertel. Erst im Sommer ist da einigen Leuten wohl die Botschaft klar geworden ("...oha: Gentrifizierung!") und die haben dann zu Farbbeuteln gegriffen.