Lesung: "Über das Volksvermögen 2.0"

Im Jahr 1967 veröffentlichte der Rowohlt Verlag ein Buch von Peter Rühmkorf (1929 - 2008) mit dem Titel "Über das Volksvermögen". In diesem sehr lesenswerten Band hatte der Lyriker Unmengen von Abzählversen, Spottgedichten und anderen Reimereien versammelt und kommentiert, die er dem "Volksmund" abgelauscht hatte.

Lesen! Lohnt sich.

Und dabei blitzte ein Widerspruchsgeist, eine Liebe zu "Schweinkram" und Tabubruch, zu Anarchie und Kreativität auf, die in den Deutschen der braven Mittsechziger kaum zu vermuten gewesen wären.

Im Jahr 2013 veröffentlichen ein junger Mann mit dem Pseudonym "Ungespielt" und seine Kumpel "BrokenThumbs" immer donnerstags wechselweise ein Video im Internet und laden ihre Zusachuer ein, dieses Video zu kommentieren. Er ereicht damit wöchentlich weit über 50.000 Zuschauer.
Und die Kommentare? Hier ein Auszug daraus:
(Im Übrigen bitte ich meine Leser, mir meinen Unernst etwa in der Mitte der Lesung nicht allzu sehr verübeln zu wollen.)


Nein, um Deutschlands Jugend ist mir nicht bange. Und ich denke, auch Peter Rühmkorf hätte an diesen Ergüssen, ja, Eruptionen der Lebensfreude seine helle Freude gehabt. Elfriede Jelinek sollte das Ganze am besten gleich für die Bühne montieren. Was denken Sie?

Neue Wörter (Sonderfolge Superdoof)

Ich hab eine neues Wort gelernt, ein italienisches.
Gelesen habe ich es beim Italiener, in der Speise- und Getränkekarte.
Und ich war einen winzigen Moment schockiert und frug mich, was denn eine Enddarmerkrankung beim Italiener zu suchen hätte. Eine Analkolik, um genau zu sein.Wahrscheinlich kriegen Pferde sowas. Aber doch nicht die Gäste beim Italiener.

Igitt.

Aber ich hab mich schnell beruhigt, aus dem sonstigen Zusammenhang der Getränkekarte konnte ich schließen, dass ich mich wohl geirrt hatte.

Aber jetzt mal ehrlich und ganz spontan:
analcolica
Was hätten Sie denn verstanden? Sehnse?

Frau Merkel lässt antworten.

Als ich jünger war, entdeckten die Parteien den "Dialog mit der Jugend". Sie hat ihn damals nicht gefunden, jedenfalls nicht bei mir. Aber man lernt ja dazu: Jetzt bin ich älter und ich habe den Dialog mit der Bundeslanzlern gesucht. Das geht ja auch so einfach, dank dem Internet. Auf der Website von Angela Merkel (CDU), die übrigens auch Bundeskanzlerin ist, gibt's dafür ein eigenes Formular. Das habe ich ausgefüllt.


Und, siehe da, ich habe eine Antwort bekommen, die ich hier dokumentiere und, wo es mir angebracht erscheint, auch kommentiere.

Kann's losgehen?
Sehr geehrter Herr Thiessen,

vielen Dank für Ihr Schreiben.
Die Sorge der Menschen über die Berichte, dass Daten durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA (National Security Agency) flächendeckend abgeschöpft werden, nehmen wir sehr ernst. Unser klares politisches Signal an die Regierung der USA ist, dass uns der Schutz der Privatsphäre der Menschen in Deutschland sehr wichtig ist.
Das hat für uns höchste Priorität.
Ich verstehe das richtig? Oder richtig falsch? Es hat für Sie höchste Priorität, der Regierung der USA ein klares politisches Signal zu geben? Sie halten ganz entschieden ein Stoppschild hoch? So was in der Art?  Übrigens ein merkwürdiger Pluralis Majestatis, den Sie da verwenden.
Wir verlangen zudem die Aufklärung aller Vorwürfe. Die US-amerikanische Regierung hat dies zugesagt.
Sie verlangen etwas. Und die, die uns da übervorteilen, haben zugesagt, dass Sie's kriegen.
Was glauben Sie denn sonst so?
Das Vertrauen muss wiederhergestellt werden.
Ach so. Welch edles Verlangen. "Spürst Du, Obama, mein sehnend Verlangen?" "Nope."
Mit der Vorsitzenden der CDU, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, wünschen wir eine Ausgewogenheit zwischen Sicherheit und Schutz vor terroristischen Angriffen und dem Schutz unserer Privatsphäre.
Jetzt ist aber mal Schluss mit dem Verlangen. Ab sofort wird knallhart gewünscht. 
Für die Menschen in den USA sind die Terroranschläge vom 11. September 2011 ein schwerer Schock gewesen.
11. September 2011? War da was? 
Sicher führt dies dazu, dass das Sicherheitsbedürfnis verschiedener Länder teilweise unterschiedlich ist. Es gilt aber klar und unmissverständlich: Auf deutschem Boden ist deutsches Recht zu halten. Nicht alles, was technisch möglich ist, darf auch gemacht werden.
Ich interpretier mal: "Wir werden also auch künftig schwer dagegen sein, deutschen Bürgern Ortungschips unter die Haut zu pflanzen – dabei ist das technisch absolut möglich und wer sich nichts zuschulden kommen lässt, dürfte ansich auch kaum was dagegen haben, aber das machen wir dennoch auch in Zukunft nicht. Versprochen. Würden wir auch vor der Wahl und besonders mit dieser FDP-Schnepfe Leutheuser-Schnarrenberger – was für ein Scheiß 80er-Jahre Doppelname kaum durchkriegen. Selbst wenn wir wollten. Aber wollen wir ja auch gar nicht.
Wir wollen uns deshalb auf europäischer und internationaler Ebene für einen besseren Schutz der Privatsphäre engagieren.
Verlangen, Wünschen, Wollen. Fangen Sie doch einfach mal an, statt Absichten zu erklären.
Also nochmal die Frage: Was TUN Sie? 
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat ein Acht-Punkte-Programm für einen europäischen und internationalen Datenschutz vorgestellt:
Was? Frau Merkel antwortet gar nicht selbst? Ach so. Erstmal 'ne Liste machen. 
1. Die Bundesregierung möchte in bilateralen Verhandlungen die Vereinbarungen zur Überwachung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses aufheben.
Reden. 
2. Die Gespräche mit der Regierung der USA über eventuelle Abschöpfungen von Daten in Deutschland werden auf Expertenebene fortgesetzt.
Reden. 
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine Arbeitseinheit „NSA-Überwachung“eingesetzt. Deren Ergebnisse werden dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages übermittelt.
Wen beauftragen, genauer, eine "Arbeitseinheit einsetzen" 
3. Im Jahre 1976 trat der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte der Vereinten Nationen in Kraft. Artikel 17 besagt, dass niemand willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben ausgesetzt werden darf. Wir wollen ein Zusatzprotokoll zum Artikel, das den Schutz der Privatsphäre zum Gegenstand haben soll.
Wollen. 
Und wozu eine Zusatzprotokoll? Die Formulierung in Artikel 17 ist doch ganz eindeutig.
4. Wir treiben auf europäischer Ebene die Arbeiten an der Datenschutzgrundverordnung entschieden voran. Wir wollen in der Verordnung eine Auskunftspflicht der Firmen für den Fall, dass Daten an Drittstaaten weitergegeben werden.
Vorantreiben. Wollen.
5. Wir wirken darauf hin, dass die Auslandsnachrichtendienste der EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Standards ihrer Zusammenarbeit erarbeiten.
Auf etwas hin wirken, dass was erarbeitet werden gewollt wird. 
6. In Deutschland und Europa gibt es eine hohe Sensibilität für die Sicherheit der Internet-Nutzer. Wir wollen daraus einen Wettbewerbsvorteil machen und europäische Firmen ermutigen, innovative Lösungen zu entwickeln.
Wollen. 
7. Auf nationaler Ebene werden wir einen runden Tisch„Sicherheitstechnik im IT-Bereich“ einsetzen, dem Vertreter der Politik, der Forschungseinrichtungen und der Unternehmen angehören.
Jemanden an einen runden Tisch setzen werden, sobald er denn mal da ist, der Tisch. 
8. Der Verein „Deutschland sicher im Netz“ wird seine Aufklärungsarbeit verstärken, die Menschen und die Unternehmen in allen Fragen des Datenschutzes zu unterstützen.
Deutschland sicher im Netz. Das muss man einfach mal so lange laut lesen, bis alle Bedeutungen klar sind. Nie war Subtext deutlicher. 

Es geht uns darum, für die Sicherheit und die Privatsphäre der Menschen in Deutschland zu sorgen. Zugleich brauchen wir ein globales Datenschutz-Abkommen, da die digitale Kommunikation völlig neue Fragen aufwerfe.
Kann ich den letzten Satz noch mal haben?
Zugleich brauchen wir ein globales Datenschutz-Abkommen, da die digitale Kommunikation völlig neue Fragen aufwerfe.
"Aufwerfe"? Wessen indirekte Rede ist denn das? Oder hat da jemend schlicht Hirnschwurbel?
Ich möchte Sie außerdem höflich darauf hinweisen, dass es ohne Ihr Einverständnis zur Speicherung Ihrer Daten, es uns unmöglich ist Ihnen eine Antwort zukommen zu lassen.
Hirnschwurbel, eindeutig. Das gedoppelte "es", das fehlende bzw. das überzählige Komma.
Und wenn man den Inhalt dieses Satzes schließlich doch erfasst, bleibt erschreckend blöde:
"Selbst schuld, wenn Sie Ihre Daten nicht abgeben, da dürfen Sie sich auch nicht wundern, wenn wir Sie nicht erfassen können. "
Sie können Ihr Einverständnis aber jederzeit wieder über das Kontaktformular widerrufen.
Am besten, ich hinterlasse dazu bitte alle zur näheren Überprüfung nötigen Daten.

Mit freundlichen Grüßen
Tobias Glowatz

CRM-Team
Bürgerservice der CDU-Bundesgeschäftsstelle

So so, war tatsächlich nicht die Merkel. War ein Avatar.
Ach je, Internet. Jeden Tag Neuland.

Mehr hier: www.angela-merkel.de



Schreiben Sie der Bundeskanzlerin.

Nein, ich bin nicht politikverdrossen. Politikerverdrossen?* Oh ja. Dennoch mach ich noch einen Versuch und schreibe der Bundeskanzlerin.


Auf ihrer CDU-Site bittet sie darum. Mal sehen, ob sie antwortet – oder, was sonst so passiert.
Im Grunde genommen bin ich mäßig gespannt.


*Pofallaverdrossen? Das vor allen Dingen. Dem schreib ich nicht. Nee.

Lesung: Glaubensbekenntnis

Einerseits moderne Lyrik von kühner Metaphorik, 
andererseits nüchterne Analyse und Zustandsbeschreibung der heutigen Gesellschaft.
Hut ab vor dem Mut dieser kargen und gleichzeitig entlarvenden Zeilen*.


*Text: Blood actvertising

Danke, Staatsschutz! Danke, danke, danke!

Ich nehme hiermit alle Beschimpfungen und jegliche Kritik zurück, die ich bis vor Kurzem an den Maßnahmen der NSA, auch an den Ausflüchten von Herrn Friedrich und schließlich auch am alternativlosen Schweigen von Frau Merkel geäußert habe.
Ich war einfach schlecht und durch vor allem miesepetrige Medien informiert. Nicht einmal die Tatsache, dass allein in Deutschland fünf oder sieben oder jede Menge Terrorakte verhindert werden konnten, weil die NSA schneller und schlauer war, konnte mich davon überzeugen, dass das Ausspähen von Daten, das Mitlesen aller Informationen im Netz und sonstwo in Ordnung gehen könnte.

Bis heute früh.

Heute früh nämlich machte ich eine persönlich Erfahrung, die einer Epiphanie gleichkommt.
Und davon will ich hier und jetzt berichten: Ich stand gerade auf der zweitobersten Stufe unserer Trittleiter, am offenen Fenster, um eine Glühlampe im Kinderzimmer auszuwechseln. In dem Moment, als ich mich anschickte, den letzten, entscheidenden Schritt auf die oberste Sprosse zu tun, da barst mit einem Krachen unsere Haustür aus den Angeln, schwere Stiefelschritte krachten die Treppe hinauf und zwei Männer mit Helmen und Schutzanzügen stürmten ins Zimmer, schreiend: "Herr Thiessen, Obacht!"
Und tatsächlich, beinah wäre ich daneben getreten und unweigerlich gestürzt.
Während nun einer der beiden Herren an meiner Stelle die neue Birne reindrehte, erklärte mir der andere, Dank verschiedener von mir im Netz verstreuter Informationen wüsste man staatlicherseits, dass ich a) nicht ganz schwindelfrei bin und b) mein dreidimesionales Sehen durch mein schwaches rechten Auge gestört ist.
Und da habe man, zum Schutz eines Bürgers, natürlich eingreifen müssen.

Deshalb tue ich hiermit Abbitte. Sonst hätte ja werweißwas passieren können.

Allerdings werde ich schon noch überprüfen, wie effizient die Behörden wirklich sind:
Heute abend ab 18 Uhr lass ich das Bügeleisen auf voller Stufe auf dem Brett stehen.
Wisster Bescheid?

Lyriklesung: Stress ohne Musik*


Denken wir uns die Musik weg, bleibt eigentlich nur heiße Luft,
die aber – immerhin – muffig riecht.


*Text: Bushido 2013

Erbfolge

Wir sind zusammen in Ferien. Mama, Papa, ich und meine kleine Schwester. Da, wo Papa herkommt. Da ist es anders als hier. Da haben alle kleinen Mädchen Ohrringe. Sagt Papa. Und Mama und Papa finden, dass wir auch Ohrringe haben sollen.
Ohrringe, wie eine Prinzessin. Mit Silber und einem Diamanten drin. Das mag ich. Meine Schwester mag das auch. Ich hab auch gern mein Prinzessinnenkleid an und sogar eine kleine Krone, auch wenn die nur aus Plastik mit Plastikgold ist, aber Mama sagt, die Ohrringe sind echt. Und damit die ganz echt sind, müssen wir echte kleine Löcher in die Ohren pieksen. Sagt Mama.

Tut das denn nicht weh?

Nein, sagt Mama, das piekst nur ein bisschen. Und zu Papa sagt sie, dass das doch toll ist, weil das kostet hier viel weniger als Zuhause beim Julewier. Das finde ich witzig, weil eine Freundin von mir heißt nämlich auch Jule.
Wir gehen da hin und dann hat der Mann so eine Zange und ich darf nicht als erste, weil meine Schwester will als erste und die darf immer als erste und ich soll mal nicht so ein Theater machen, sagt Mama und ich soll mal vernünftig sein, ich bin ja schließlich die große Schwester.

Und dann nimmt der Mann die Zange und meine Schwester weint, weil tut ihr doch weh und blutet auch. Aber die soll mal nicht so ein Theater machen.

Ich will dann eigentlich keine Ohrringe mehr haben. Aber Mama sagt, die werden ganz schön und sie will sich auch Löcher in die Ohren machen lassen, dann ist sie die Königin und ich will doch auch Prinzessin sein, oder?

Also.

Ich mach ganz fest die Augen zu und erst kitzelt das, als der billige Julewier so an meinem Ohr anfasst und dann tut das ganz schön doll weh. Ob das blutet, kann ich ja nicht sehen. Aber ich weine. Bei dem anderen Ohr weine ich auch, schon vorher, weil da weiß ich ja schon, dass das doch wehtut. Dabei wollte ich ja nicht so ein Theater machen, und Mama sagt, wir gehen nach Hause, weil wir nicht vernünftig sind. Und, dass sie später Löcher in ihre Ohren macht. Das haben wir davon. Und Papa und Mama streiten zuhause, also im Hotel.

Erst drei Tage später geht Mama auch zu dem Julewier.
Als sie wiederkommt, sagt sie, so schlimm war das gar nicht.

Jetzt sind wir wieder zuhause, also zuhause zuhause.
Und meine kleine Schwester hat die Ohrringe schon wieder rausgenommen. Die Löcher sind zugewachsen. Und sie sagt, Scheiß auf Prinzessin. Da sagt Mama, Scheiß sagt man nicht, dann ist sie eben die Königin und ich Prinzessin und meine kleine Schwester eben man nix. Das hat sie davon.
Und wenn meine Mama mal tot ist, bin ich die Königin. Die einzigste.
Das erzähl ich Mama aber nicht.


Und jetzt alle mal glaubwürdig!

Wenn das Image schlecht ist, sollte man was machen. Wenn das Image schlecht ist, weil man selber richtig Scheiße war, gilt das um so mehr. Wenn das Image schlecht ist, weil man Scheiße war und dabei will man den Leuten dennoch was verkaufen, dann führt kein Weg daran vorbei, was zu machen.

Mercedes Benz hat vor Jahren vorgeführt, wie das geht. Damals wurde die A-Klasse eingeführt und ein Auto kippte bei einer Testfahrt im Norden um, weil es über einen Elch gestolpert war.
Der Elchtest war geboren und die A-Klasse hatte Probleme.


Mercedes stattete seine A-Klasse von nun an mit dem Elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) aus und warb mit der Stärke, aus seinen Fehlern lernen zu können.

So was kostet Geld. Und Nerven. Und kann, siehe Mercedes, erfolgreich sein.

Mich würde mal interessieren, wie erfolgreich die momentane Welle von Werbespots ist, in denen kritische Verbraucher vor sich hindenken und auch mal hinterfragen und dann superglaubwürdige Antworten von den Produzenten dieser Reklame kriegen.

Den Anfang machte – kurz nachdem ein gemeinsamer Puffbesuch (hier bereits behandelt) der HMI-Herren durch...äh...sickerte – die neue, große Versicherungsmarke ERGO.
Sie war sich nicht zu schade, soger den Kinderbuchklassiker MOMO zu nennen, um klarzustellen, dass die Nachfolger der Herren Kaiser eben keine grauen Herren wären. Und der Text war so vollkommen formuliert, dass zumindest ich kein Wort dieser neuen Authentizität glauben mochte.



Unter der programmatischen Zeile "Versichern heißt Verstehen" fanden sich bald die merkwürdigsten Bekenntnisse zur neuen Glaubwürdigkeit wieder, von denen ich hier noch eben das dadaistischste zeigen möchte:



Seit Kurzem nun haben sich zwei weitere Unternehmen auf diesen Trend geworfen.
Die Commerzbank zeigt dazu eine Ftrau, die nachts zu grusliger Musik durch die Stadt joggt und dabei tiefe Gedenken vor sich her wälzt, darüber, woran es wohl liege könne, dass man den Banken nicht mehr so recht vertrauen möge. Und nach und nach erfährt man, dass die Commerzbank die Schuld für die Krise (als einzige Bank) bei sich selbst gesucht hat und deswegen nun alles anders und besser machen will.



Fein. Und das tut sie dann auch und beeendet das nachdenkliche Geplauder in der kürzeren Version dieses Spots mit einem markterschütternden Sonderangebot.



Schade eigentlich. Bzw. dann doch unerwartet ehrlich: Wir! wollen! verkaufen!

Und noch eine Firma, die in letzter Zeit ein bisschen Zeitgeistprobleme hat, versucht es auf diese Weise. Dazu hat dieses Unternehmen die Kampagne "Energiezukunft" ins Leben gerufen, aus der ich Ihnen "Herrn Voigt" vorstellen möchte.



Kommt, Leute, der heißt doch nicht Voigt. Und die Kurve vom Apfel zur E.onergie, die kauft euch doch keiner ab. Mir jedenfalls fällt bei all diesem windelweichen Quatsch immer wieder das alte Märchen ein, das James Thurber bereits 1940 aufschrieb:
Das kleine Mädchen und der Wolf

Eines Nachmittags sass ein großer Wolf in einem finsteren Wald und wartete, dass ein kleines Mädchen mit einem Korb voller guter Sachen für ihre Großmutter des Weges käme. Endlich kam auch ein kleines Mädchen daher. Es trug einen Korb voller Lebensmittel.

„Bringst du den Korb zu deiner Großmutter?“, fragte der Wolf. Das kleine Mädchen nickte. Da erkundigte sich der Wolf, wo die Großmutter wohne. Das kleine Mädchen gab ihm Auskunft und er verschwand im Wald.

Als das kleine Mädchen das Haus seiner Großmutter betrat, sah es, dass jemand im Bett lag, der ein Nachthemd und eine Nachthaube trug. Das Mädchen war noch keine drei Schritte auf das Bett zugegangen, da merkte es, dass das nicht ihre Großmutter war, sondern der Wolf, denn selbst mit einer Nachthaube sieht ein Wolf einer Großmutter nicht ähnlicher als der Metro-Goldwyn-Löwe dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Also nahm das kleine Mädchen einen Browning aus ihrem Korb und schoss den Wolf tot.

Moral: Es ist heutzutage nicht mehr so leicht wie ehedem, kleinen Mädchen etwas vorzumachen.
Also: und was lernen wir daraus?

Genau: Mehr Thurber lesen.


(UPDATE am 21.7.2013)
Eine (via angezeigten Link leider nicht näher zu definierende) E.on-SocialMediaRedaktion besucht meinen Blog bzw. verweist dorthin. Auch eine Form von Dialog. Also, liebe Redakteure: Wenn Ihr Fragen habt, wenn Ihr einfach nur reden wollt: meine Tür steht Euch offen.

E. De. (Plädoyer für neue Artikel)

Die Uni Leipzig hat – auch mit der erklärten Absicht zu provozieren – Schluss gemacht mit der unsäglichen Dopplung à la"alle Finnen/Finninnen" und verkrampften Konstrukten wie z.B. denen des/der "DänIn" und "DänInnnen". 

Stattdessen gibt es dort nun die etwas irritierende Regel, erstmal alles mit der weiblichen Form zu benennen: ganz gleich, ob Männlein oder Weiblein, heißt es dort also künftig:
Die Rektorin wirft die Hausmeisterin von der Leiterin.
...wobei erstere in diesem Fall eine stolpernde Dame ist, während die Person, die da gerade die Lampen im Treppenhaus wechseln will und jetzt von der der Stehleiterin kippt, vermutlich ein Mann ist. Ungefähr so jedenfalls.

Und wie gewünscht, haben dann auch alle, die sollten, über diesen Beschluss berichtet, und erwartungsgemäß haben sich ganz viele dazu geäußert, zustimmend, ablehnend, oft mehr oder weniger witzig – in der Masse langweilig und herzlich desinformiert, bzw. -informierend,  z.B. – und nur als Stellverterter herausgegriffen – Spiegel Online.

Ich will jetzt mich jetzt auch mal abgrenzen.
Ich will mir die Boxerin Wladimir Klitschko nicht vorstellen, und sei sie noch so zufällig gerade Gastdozentin in Leipzig. Ich möchte auch nicht, dass künftig über Prinzessin Charles von England berichtet wird, sobald sie auf Staatsbesuch bei der Uni vorbeischaut. 

Und ich will nicht nur meckern, ich will was vorschlagen:
Können wir nicht einfach neue Artikel erfinden? Also können wir nicht – analog zum Englischen "a" und "the" im Deutschen ebenso unbestimmt sogar beim bestimmten Artikel sein? Ich denke ich rufe mal eben via Avaaaz.Org oder Campact eine Initiative ins Leben, die sich dafür einsatzt, statt ein und eine nur noch e und statt der oder die oder das nur noch de zu verwenden. Und das dann auch in jedem Fall durchzuziehen

De Effekt de Idee würde de sonst so strenge deutsche Sprache jedenfalls e bisschen lockerer machen.
E Kind müsste nicht mehr soviel über de Geschlecht nachdenken und de Gedanken blieben sauberer.
De Zeit ist reif für e Veränderung. We macht mit?

Vermischtes zum Abspeichern und Datenbevorraten

1. Was bedeutet eigentlich NS?  Gegen die Buchstabenkombination NS, als Kürzel eingesetzt,  hege ich seit je her ein gewisses Misstrauen.
  • Noch vergleichsweise harmlos wird sie bei Geldgeschäften verwandt, ein vom Aussteller unterzeichneter Wechsel wird mit NS für "nach Sicht" beschriftet, spätestens dann muss derjenige sich klar sein, dass es später teuer werden kann.
  • Etwas eklig finde ich die unter dementsprechend Interessierten verbreitete Sexualpraxis "Natursekt", die sich, ebenfalls zu NS verschlüsselt, in Kontaktanzeigen für dementsprechend Interessierte wiederfindet.  
  • Weitaus widerwärtiger allerdings ist das NS, wenn es die beiden Begriffe "national" und "sozialistisch" knackig zu zwei kurzen Silben verkürzt, die man dann vor jeder Menge Dreck platziert, von NSDAP über NS-Rockerbanden bis hin zu dem aktuellen NSU-Prozess, bei dem die gezielten Tötungen von meist türkischgen Geschäftsleuten verhandelt werden. 
  • (In diesem Zusammenhang übrigens wirkt das anerkennende NS für "nice shot" bei Mehrspieler-Online-Ballerveranstaltungen einigermaßen befremdlich. Aber welcher vernünftige Mensch täte so was, außer vielleicht, um halbwegs elegant die Kurve zu Anglizis- und Amerikanismen zu nehmen, was hiermit geschieht:)
  • In den USA nämlich steht NS für die Nationale Sicherheit, gern – und inzwischen bekannt – auch mit dem A für Agency verbunden. Und dieser Drecksladen, der sich anmaßt, im Namen irgendeiner Sicherheit alles über jeden wissen zu wollen, ist mir momantan im Abstand am widerlichsten. Nicht dass ich den entsprechenden deutschen Organen mehr traute: dass unsere Politiik scheint im Moment zwar empört, aber wohl eher darüber, dass so etwas bekannt werden konnte.
Ich bin sauer, ja. Überrascht? Nein.

© Thies Thiessen 2013

2. Sollte ich also einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin (oder Obama oder wen auch immer) schreiben?
Nein, das lohnt nicht. Was könnte in diesen Zeiten alberner sein, einen Brief extra als "offen" zu kennzeichnen. Alle Post ist offen, E-Mail so wieso, der klassische Brief auf Papier wird spätestens nach Einreise in die USA geöffnet und abfotografiert, eher er, wieder zugeklebt, an den Präsidenten weitergeleitet wird. Es reicht wahrscheinlich, einen kurze SMS an sich selbst zu schicken. Die kommt genauso sicher an.

3. Ich könnte ja anrufen...
"Zur Sicherung unserer Gesprächsqualiät werden vereinzelt Gespräche aufgezeichnet. Falls Sie das nicht wünschen, zeigen Sie uns das vor Gesprächsbeginn kurz an..."
Nur zu. Kommt doch eh nicht mehr drauf an. 

4. Wieso macht Ihr das, Ihr Amis, nachdem Ihr doch den ersten schwarzen Präsidenten unter dem Hoffnungsmotto "Yes we can" gewählt habt?

"Because we can." Ach so. Danke.

5. Wozu da noch Nachforschungsaufträge an die Deutsche Post? 
Stimmt, geht doch viel einfacher:  
Dear NSA, Three days ago, I should have got a letter from my uncle Horst-Dieter from Darmstadt. Inside, there was nice photography of my new born nice Jacqueline. Until today, I didn't get this letter. Could you please send me a copy of it. Thanks.

6. Wer schützt uns vorm Terrorschutz?
Hier habe ich vor Monaten in einer fiktiven Pressemeldung beschrieben, wie der meistgesuchte Terrorist der USA irgendwo in Norddeutschland von amerikanischen Truppen hingerichtet wurde.
Machen wir uns nichts vor: Die Machthabenden in den USA – die ich von den Regierenden bitteschön unterschieden wissen will – glauben wirklich, sie lebten in God's Own Country und der Gute Alte haben Ihnen das Recht verliehen, die Souveränität anderer Staaten oder gar Individuen im Eventuallfall komplett zu ignorieren. Dazu fällt mir nichts mehr ein.

7. Wieso fällt mir jetzt Karl Kraus ein?



Neue Wörter (Folge 57)

Ich frage mich allmählich, ob die regelmäßigen Leser meiner (recht unregelmäßig erscheinenden) Neuwortvorstellungen sich bereits ein merkwürdig mystifizierendes Bild meiner Frau gemacht haben. Ich frage mich auch, wie dieses Bild wohl aussieht. Schließlich ist sie eine wichtige, wenn nicht die entscheidende Inspiration für viele Beiträge dieser Serie, die nun schon mehr Folgen hat als ich Jahre auf dem Buckel.
Zur Erklärung dieser Eigenart muss ich sagen, dass Deutsch im Ursprung nicht ihre Muttersprache ist – sie spricht es akzentfrei, versteht es allerdings auf ihre Weise, bekannte Wörter und Worte hin und wieder zu irriterenden, aber immer verblüffend überzeugenden Bastarden zu kreuzen.
Mir bleibt dann nur genaues Hinhören, Nachfragen, Staunen und schließlich Ergründen, wer bzw. was die Eltern des neuen Wortes sind.

Gestern zum Beispiel, im Auto, auf der Fahrt vom TomTailor-Outlet zu unserem Edeka.

Wir hatten an der Kasse des Outlets erst lange warten müssen, weil dort nur eine einzige Auszubildende einer großen Gruppe Kaufwilliger ausgeliefert war. Unmittelbar vor uns hatte eine Frau zwei Paar Schuhe ausgesucht, bei denen sich an der Kasse herausstellte, dass das eine wohl doch nicht herabgesetzt war. Oder vielleicht ja doch... oder nicht... ist denn keine Kollgein da, nein... ach, dann lass ich das Paar hier können Sie das bidde zurückbongen... ich weiß aber garnicht so genau, wie das...

...endlich waren wir dran, der Zorn der uns Nachfolgenden köchelte schon vor sich hin, und dann hatten meine Frau und ich unsere Kundenkarten nicht dabei und der EAN-Code auf dem Jeans-Preisschild war auch überklebt und überhaupt woran plötzlich wir die, die den Bezahlvorgang aller Kunden weiter verzögerten. Eine Dame hinter uns warf ihre Waren (irgendwelches Unterwäschegedöns)  auf den Tresen und verlief laut schimpfend den Laden... – kurz: die Situation war, wie meine liebe Frau später, im Auto, sagte:  

brikant

"Wie bitte?" fragte ich. 

brikant

Was wohl, wie ich dann messerscharf zurückschloss, aus brisant und pikant, entstanden sein musste.
Ich bin sicher, meine geschätzten Leser werden Gelegenheit finden, mit diesem schönen neuen Wort auch einem ansonsten langweiligen Tag neue Würze zu verleihen. Und wer weiß, vielleicht denken sie dabei gar an meine liebe Frau.