Unsere Sprache ist voll von solchen Euphemismen. "Casting-Show" ist das schönere Wort für "Öffentliche Demütigung", "Gefahrengebiet" wurde jüngst zum Zweitnamen für die merkwürdige Vermischung von Exekutive und Legislative, und schon seit Längerem kann die "geordnete Insolvenz" (also: die absehbare Pleite) einen Mitarbeiter unter die Betreuung der "Arbeitsagentur" zwingen und wer das mal erlebt hat, kriegt, im Wortsinn, einen völlig neuen Begriff vom Begriff "Kunde."
So weit, so ungut, ich will das hier nicht vertiefen. Ganz im Gegenteil.)
Mir geht es eben um das:
Es gibt da eine seit Jahrzehnten erfolgreiche und kreative Werbegentur, die vertritt – von der ersten Minute ihres Bestehens an – die folgende Philosophie*: Die Agentur verkündet, dass Marketing-Kommunikation in Zeiten der freiwilligen Mediennnutzung attraktiver denn je sein müsste. Da hat sie Recht, die Agentur. Und schließt daraus messerscharf, Marketing-Kommunikation müsste ein Geschenk sein... – und bis hier folge ich noch, aber dann nicht mehr: – ein Geschenk wie das Trojanische Pferd.
Screenshot (Ausschnitt) der Agentur-Website: Das Denken den Pferden überlassen? |
Hallo?
Meinen wir den Holzgaul, der den Trojanern nach Jahren der Belagerung durch die Griechen vor die Tür gestellt wurde? Das Pferd, das die Trojaner als Abschiedgeschenk der scheinbar kapitulierenden Belagerer missverstanden und auch gleich in die Stadt schleppten? Also meinen wir tatsächlich dieses sich als freundlicher Klepper tarnende Versteck für eine Handvoll blutrünstiger griechischer Krieger, die nachts, als alle Trojaner schliefen, deren Untergang besiegelten? Echt?
Echt.
Denn das Trojanische Pferd findet sich sogar im Logo der Agentur, das wiederum schön groß auch auf seine Fassade* gemalt wurde.
Hm.
Also muss ich bei erfolgreicher Marketingkommunikation nach der Definition dieser Agentur immer damit rechnen, das meine Familie – natürlich nur in übertragenem Sinn – massakriert und mein Heim – selbstverständlich nur bildlich gesprochen – niedergebrannt wird? Das will ich aber gar nicht. Das finde ich nicht gut.
Womit ich bei der Antwort auf Anfangsfrage wäre: Natürlich gibt es ein Wort für das Gegenteil von Euphemismus. Es heißt Dysphemismus. Diese rhetorische Figur wird bevorzugt in politischen oder gesellschaftlichen Konflikten angewandt, indem z.B. Autonome durchweg als Chaoten und Polizisten von der Gegenseite zu Bullen ernannt werden... das Übliche halt.
Aber in der Werbung?
Na ja, wie findet doch ein leitender Mitarbeiter dieser Agentur: Hauptsache, man redet drüber, – egal was. Weshalb wohl diese steile Selbstbeschreibung immer wieder und wieder varriiert, vertieft wiederholt und penetrant penetriert wird.
Liebe Leute: Getretener Quark wird breit, nicht stark.
Das gilt auch in der Reklame.
*Auch so ein Quatsch, dass jede Firma gleich eine "Philosophie", gar ein "Credo" vor sich her trägt, wo man froh sein muss, wenn sie eine Haltung hat.
**Das erwähnte Pferdebild übrigens blieb über Jahre unbeschädigt, und das mitten im Schanzenviertel. Erst im Sommer ist da einigen Leuten wohl die Botschaft klar geworden ("...oha: Gentrifizierung!") und die haben dann zu Farbbeuteln gegriffen.
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