Lyrik ist ein hartes Geschäft

Gibt es Zufälle? Oder ist es der wahnhafte Wille eines schwer zu enträtselnden Schicksals, der uns Menschen manchmal Merkwürdigkeiten einer Art zuhauf auf den Tisch weht? Wer weiß...
Jedenfalls sind mir in den vergangenen Tagen gleich drei Dichter aufgefallen, die manches gemeinsam haben: Im Hauptberuf sind bzw. waren sie anderweitig und durchaus realitätsnah tätig. Ihr Beruf ist hart, für Zartheit ist kaum Platz – die gönnen sie sich in ihrer knapp bemessenen freien Zeit und schreiben Gedichte.
Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass der Beruf – wie sollte es anders sein – ganz natürlich Einfluss nimmt auf ihre lyrischen Anstrengungen; unüberhörbar bei jedem der drei ist da immer auch der Wunsch, ein Publikum zu haben. Die Wege, es zu finden, sind unterschiedlich, zeitgebunden auch – aber genug der Vorrede.
Den Anfang macht der Ludwigshafener Frauenarzt und Professor Hugo Otto Kleine, der im Jahr 1927 und als damals noch junger Arzt ein schmales Bändchen "Klinische Sonette" (im Wellersberg Verlag von Dr. F. Sauerhering) veröffentlichen durfte. 40 Gedichte sind hier versammelt, geschrieben "in langen Nachtwachen", werfen sie ein mindestens interessantes Licht auf das Innenleben von Kliniken und eben des Dichters.
Irre

Die Bürger eilen angstvergruselt schneller.
Das "feste Haus" ist wieder gut belegt –
Das tierische Gebrüll wird dauernd geller.
Das heult und jault und zetert unentwegt.

Der Abend hallt von grauenhaften Schrein.
Vernunft, Verstand und aller Geist zersprangen,
Und letztes Hilfemittel bleibt allein
Scopolamin, grobknochige Wärter, Käfigstangen.

Ein Rasender versucht sich umzubringen.
Ein Weib ruft hitzig nach obszönen Dingen.
Es belfert ein Insasse wie ein Hund.

Geschnarr, Gegröhle, Trällern, Tremulieren,
Geschimpfe, Winseln, Quäken, Kommandieren...
Vrenehmlich lobpreist einer Gott – mit Schaum vorm Mund.
Nun zu etwas völlig anderem: Wolfgang Röller war (neben anderen Ämtern) von 1993-1997 Aufsichtsratsvorsitzender der Dresdner Bank AG, von 1987-1991 Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken e.V. und nimmt auch heute, mit achtzig Jahren, das eine oder andere Ehrenamt wahr. Er versteht vom Dichten ebensoviel wie von Geldgeschäften, und wer (in den 90er Jahren nach dem Ball des Sports) ins Kurhaus Wiesbaden zum "Katerfrühstück" eingeladen war, genoss mit wissendem Lächeln Röllers Rückblick-Reime, in denen er mit der gefürchteten spitzen Feder Wirtschaft, Sport und Politik aufspießte. Auszüge? Bitte sehr. (Für die Mitschrift dieser Zeilen aus dem Jahr 1995 danke ich einem ungenannt bleiben wollenden Zuträger):
(...) Ach was muss man oft vom bösen
Aufsichtsrat so alles lesen,
der – weil gar nicht kompetent –
manches heiße Ding verpennt.
Und schließlich meinten Professoren
(noch heute hab ich's in den Ohren),
dass es gar üble Folgen hat,
wenn Banker sind im Aufsichtsrat. (...)
Hier hat Herr Röller sich sozusagen einen ordentlichen Kredit ( = zinslose Anleihe) bei Wilhelm Busch genehmigt, aber durchaus spezifische Akzente gesetzt. An anderer Stelle geht es (im Zusammenhang mit einem Bauskandal jener Zeit) fast prophetisch weiter: 
(...) Kaum ist dieses vorgekommen,
wird der Vorstand einvernommen:
Wie konnte denn all das gescheh'n?
Das musste doch ein Blinder seh'n?
War'n sie zu dumm, die klugen Banken?
Gibt's dort denn nur noch Fach-Gedanken?
Steh'n die Experten auf dem Schlauch?
Nur noch Computer, nicht mehr "Bauch"? (...)
Reicht's? 'S reicht. Also zitieren wir nun nur noch ein Gedicht des Pharma-Agenturchefs P. Bluthmann-Jungwisch Jungmann-Bluthwisch Jungbluth-Wischmann, der zur Veröffentlichung seiner Zeilen eigens eine rosaknutschigsüße Website "Wir lieben Kunden" ins virtuelle Leben gerufen hat, die Monat für Monat ein neues Gedicht von ihm vorstellt und dabei Kunst und Kommerz aufs Tränentreibendste verheiratet.

Wäre man böswillig, würde man reimen:
Auf diese Reim-Tour
legt wer 'ne Schleimspur.
Wie von Sinnen
will er Kunden gewinnen.
Aber das ist natürlich ganz dummes Zeug, denn schon die erste Zeile "Mit einem Fuss in Deinem Leben" gesteht überdeutlich ein, dass es hier eher um einen Pharma-Vertreterbesuch als um Liebe geht.
Und da kann man die Tür zum Leben ganz cool zuknallen.
Ich jedenfalls empfehle am Ende doch wieder William Carlos Williams. Der war auch Arzt und auch Dichter. Dichter jedenfalls als die hier Vorgestellten. Und richtig gut.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

...dass nicht dein Glücksal jemnad trübt" ?
Hä?

Unknown hat gesagt…

"jemals", nicht "jemnad". Aber besser wird's davon auch nicht. Jamais.