Warum ich mich nicht über die Zeitumstellung aufregen mag.

Zwei Tage nach der Umstellung von Sommer auf Normalzeit wurde ich um fünf Uhr früh wach – also, wie es zur Zeit so gern heißt: gefühlt um sechs. Und wie ich so da lag und nicht wieder einschlafen konnte, fragte ich mich, was sich wohl jede Menge Menschen um diese Tageszeit zu dieser Jahreszeit fragen: Wie konnte es vor über 30 Jahren zur Einführung der Sommerzeit kommen?
Ich stelle mir das so vor:
Ein Sitzungsraum in Bonn, irgendwann im Spätherbst 1973, das Bundeskabinett ist versammelt, es riecht penetrant nach Metholzigaretten.
Bundeskanzler Willy Brandt hustet, dann:
"Also meine Herren, die Ölkrise ist da. Und bleibt da. Was machen wir?"
Innenminister Genscher, trocken kichernd: "Wir könnten doch noch mal ein paar autofreie Sonntage machen. Da hatten die Leute doch sogar Spaß dran." 
Aufschrei vom Bundesverkehrsminister: "Sind Sie denn wahnsinnig, Herr Kollege? Da haben wir die bestausgebauten Autobahnen in Europa, und Sie wollen LKW-Staus an den Grenzübergängen?"
Genscher, schelmisch schmunzelnd:"...war ja nur so eine Idee..."
Brandt: "Neenee, das ist nichts. Ich versteh das ja, aber Benzin sparen ist ja nun nicht alles, nichwahr? Wir brauchen eine Vision, wie wir ganz grundsätzlich Energie sparen, nicht bloß Benzin..."
Finanzminister Schmidt zündet sich eine neue Reyno an der vorherigen an, brummelt in die entstehende Stille: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen... "
Brandt, indigniert: "Gut, Helmut. Es geht ums Sparen, und das ist ja dein Ressort."  
Schmidt: "Wie wär's denn, wenn wir, auch am Sonntag, einfach mal sagen, "liebe Bürger: heute bleibt der Fernseher aus und gelesen wird nur bei Kerzenlicht, und die Nachtspeicherheizung bleibt aus..." 
Bundesfamilienminister, begeistert: "Ja! Stromfreie Sonntage! Da würden die Leute eben mal ohne Glotze und Radio auskommen müssen. Dann geht's halt ein bisschen früher ins Bett – und ganz nebenbei würde unsere Bevölkerung vielleicht auch nicht mehr so schrumpfen, was meinen Sie, wie da altgediente Ehepaare wieder zueinander finden, wie da neun Monate später die Geburtenraten in die Höhe...
Schmidt: Nun mal nich gleich so reinsteigern  – aber das mit dem Licht aus, das ist erstmal gut.
Genscher: "Na, ja, wenn es denn abends wenigstens sowieso länger hell wär..."
Schmidt: "Numalbüschenlangsam,  wir sind ja nicht in Norwegen."
Brandt, schwärmerisch, bei sich: "Mitternachtssonne, sonne Sonne bräuchten wir..."
Genscher: "Neinnein, aber ich erinnere mich, damals, im Krieg, da hatten wir doch über zwei volle Jahre die Uhren eine Stunde vorgestellt."
Schmidt: "Stimmt. Und abends in den Gräben war's viel länger hell... – was wir an Blendgranaten eingespart haben..." 
Genscher: "Das Ganze hieß, glaube ich, Sommerzeit. So was in der Art müssten wir machen. Wenn wir schon nicht die Sonne länger schienen lassen könne, stellen wir  einfach die Uhren um..."
Unruhiges bis bestätigendes Gemurmel von den Kabinettsmitgliedern.
Brandt:
"Gut. Passen Sie auf: Wir setzen erst mal eine Enquête-Kommision ein, lassen das mal durchrechnen und dann wollen wir doch mal gucken..."
Ja, so war das wohl damals. Und kaum acht Jahre später wurde in ganz Deutschland (sogar in der zukünftigen ehemaligen DDR) die Sommerzeit eingeführt.

Gebracht hat es natürlich rein gar nichts. Und damit bin ich da, wo ich eigentlich hinwollte. Denn immerhin einen Zweck erfüllt die Sommerzeit ganz gewiss: Sie zeigt dass nicht jede Idee gut sein muss, dass auch die scheinbar tollsten Pläne so richtig schiefgehen können. Und wenn man sich eben darauf zweimal pro Jahr besinnt – das ist doch schon einiges wert.
(Außerdem: verglichen mit andere Super-Einfällen (FCKW in Deodosen, Atomkraftwerke, Hartz IV, Asylkompromiss, Frauentausch auf RTL2) ist die Sommerzeit vergleichsweise harmlos.)
Also, wozu das Genöhle.



 

3 Kommentare:

Gerald Fix hat gesagt…

Nun, da kann ich weiterhelfen. Ich erinnere mich an den Grund: Es waren die längeren Sommerabende. (Wir lebten ja noch in der Zeit, in der die Sommer grün angestrichene Winter waren.) Ich erinnere mich schon deshalb daran, weil wir in unserer Bundeswehrkaserne schon vorher eine Pseudo-Sommerzeit eingeführt hatten - alles wurde eine Stunde verlegt.

Die Energieersparnis war lediglich eine Form der rationalen Begründung. Beamte brauchen sowas.

(Und was die Gegner angeht: Die sollen dann um neun Uhr abends die Kinners reinholen, bei schönstem Sonnenschein, weil morgen ist ja Schule. Viel Spaß :-)

Unknown hat gesagt…

Übrigend stimmen die groben Fakten zur Einführung der Sommerzeit. Es hat im 2. Weltkrieg eine jahrelange Sommerzeit gegeben und es hat auch immer wieder sich wer gefunden, der sie wieder einführen wollte. Was die Bundeswehr angeht, erinner ich mich dunkel an etwas, das "Zulu-Zeit" genannt wurde – war's das?

Gerald Fix hat gesagt…

Das weiß ich nicht mehr, ich glaube mich zu erinnern, dass es hier nur um lokale Regelungen ging.