„Kreative, auf nach Hamburg! Republik Neuland"

Ja, genau so aufgesetzt ironisch und dennoch wuchtig lautet die Headline der umfangreichen "multi-channel-Kampagne" für das alljährliche festival des ADC*, die von "City Light Posters" bundesweit von über 11.000 Stellen wenn schon nicht Zeichen, so doch immerhin Ausrufezeichen setzt.
Republik hat 'ne Fahne
Das Design dieser Republik Neuland und auch die begleitende Kampagne zum Festival stammen von der Hamburger Designagentur Mutabor entwickelt, deren Inhaber dazu erklärt:
„Die Republik Neuland ist ein Bund von zehn souveränen kreativen Ländern – für jedes Land steht ein Stern in unserer Flagge: Digital-Land, Raumland, Designland usw. – in der Republik Neuland wie im ADC finden alle Kreativdisziplinen ihr Zuhause.“
Ah ja: Eine Republik für Ideen, deren zehn souveräne Bundesstaaten für alle Kreativdisziplinen eine Heimat bieten.  Einfach mal sacken lassen. (Und sich in der Zwischenzeit die unvermeidliche – und unausstehlich witzige Proklamation der Republik angucken oder sogar runterholen runterladen.)


Dann weiter:

Es werden nicht alle Disziplinen aufgezählt, das mag aber auch daran liegen, dass einige dieser Bundesstaaten zwar richtig viel Geld verdienen und dick und fett und stinkreich sind, aber eben auch ein bisschen unansehnlich und peinlich – als da sind zum Beispiel  Regalnasenland, Spamland und Sonderangebotsland, und natürlich, Funkspotanbrüll-Land und Teleshoppingland. Egal. Machen echte Staaten ja auch nicht anders. Warum sollen die Vereinigten Staaten der deutschen Reklame ihr eigenes Guantanamo nicht mal kurz totschweigen dürfen bzw. drüber wegfeiern. Ist schließlich ihres. Dürfen sie mit machen, was Sie wollen.  Vielleicht wird es nicht besser als der real existierenden Konsumismus – bunter wird es allemal.

Aber das nur nebenher.
Eigentlich möchte ich mich in diesem Beitrag mehr mit den Sachen befassen, die ja zumindest nominell Schwerpunkt dieses Blogs sind. Also mit Wörtern.
Lassen wir also die Plakate und die ganze Republik Neuland mal beiseite – auf die komm ich am Schluss noch mal kurz – und gucken auf die Texte, die z.B. die dazugehörige Website liefert. Ich habe also die Programmankündigung im Netz gelesen.
(Zwischenfrage eines unschuldigen ADC-Kleinmitglieds: Ach, Sie waren das?) 
Ja, allerdings. Das war ich. Und ich frage mich a) wer hat das getextet? und b) wer hat das abgenickt?

Auszüge gefällig? Bitte. (Farbige Hervorhebungen stammen von mir, um "die Stellen" sichtbar zu machen, wo sich sich nämlich eine Branche ganz besonders am eigenen Jargon, nun ja, befriedigt.)
Der ADC Kongress am 16. Mai spart eine Reise nach Silicon Valley. Für Marketingexperten und Kreative bietet der Kongress "The Power of Digital Ideas" am 16. Mai Insights, Know how und Inspiration. (Sprich: Inspeierrääischn.) Denn noch nie gab es in Deutschland so viele Toplevel-Keynote-Speaker aus der internationalen Digital-Elite.
Um 9 Uhr 30 ist Einlass, und der staunende Verbraucher kann erstmals die Superhelden der Werbung persönlich erleben**:
Es sprechen unter anderem "der Nike Fuelband-Creator und Gründer von R/GA über die nächsten 9 Jahre", "der Oscar-Winner für Hugo Cabaret", dann gibt's einen "Lunchbreak", danach betreten das Podium ein "weltweiter Head of Social" und "der Kopf hinter" , nach dem "Coffee Break" sind "der Brand Hacker" und "der Gestalter für innovative Lebenswelten"dran, außerdem die schlimmste Headline aller Zeiten (SchliHaZ): "Be.Here.Now: the future present of communication". 
Gottseidank ist dann zehn Minuten "Wrap-Up", und anschließend präsentiert eine "hochkarätige Jury" (Aaargh: Gibt es eine Vorschrift, wonach "hochkarätig" immer zu "Jury" stehen muss? Na also.) dies und das, was es in einen "etablierten Showcase" geschafft hat.

Außerdem und zu anderen Terminen im Rahmenprogramm: Design als Lead-Disziplin, neu in diesem Jahr: Storytelling. (Was, wie ich vermute, was komplette anderes und viel hipperes ist als die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, über die jeder halbwegs seriöse Journalist verfügt.) Schließlich noch "Top-Speaker", eine "interdisziplinäre Creative Boutique" und jede Menge weiteren hohl wohlklingenden Quatsch, der im nächsten Jahr schon wieder anders heißt.

Mein persönlicher Höhepunkt ist das Projekt ".eco - Stromsparen im Internet", und zwar als Idee und auch als Beschreibung:  Professor Günter Horntrich nämlich erklärt es auf der ADC-Website so:
„Strom sparen im Internet durch Reduktion von Datenmüll ist das vorausschauende Konzept von .eco. Kurzzeitig aktuelle Daten werden mit einem sogenannten Haltbarkeitsdatum versehen und dadurch unnützer Datenwachstum verhindert. .eco schafft Bewusstsein und sensibilisiert den Nutzer für die ökologischen Auswirkungen von Datenspeicherung.“
Okay. Auch mal sacken lassen.

Sprachlich ist das zwar nicht so ganz sauber, denunziativ zusammengekürzt heißt das wohl:
...schnell veraltende Daten werden früher gelöscht und dadurch werden der unnütze Datenwachstum verhindert...
Aber, um mit der beliebten ERGO-Versicherungsgruppe zu sprechen: die Idee ist gut.

Und ich bitte dringend um deren testweise Umsetzung auf der Website des ADC.
Nachdem der Verein in diesem Jahr schon gleich eine Republik ausgerufen hat, bleibt ihm hier auf Erden ja nicht mehr viel Raum für Ideen. Also müsste er im kommenden Jahr eigentlich ins All gehen.
Auf irgendeine abgehobene Umlaufbahn.

Ach, das wäre himmlisch.

Schlusswort und ganz im Ernst:  äasst sich etwas Eitleres, Sektiererischeres und gleichzeitig Strunzlangweiligeres denken als ausgerechnet die "Republik Neuland"? Sage mir keiner von denen je noch etwas gegen den Kirchentag und dessen bescheidenes Motto: Soviel du brauchst.


*Doch, ADC ist richtig geschrieben. Gemeint ist nämlich nicht der ähhnlich abgekürzet Autofahrerverein, sondern eben der Art Directors Club von (oder für, was weiß ich) Deutschland.
**kann er natürlich nicht, muss er sich nämlich erstmal leisten können. Wenn er denn will.
 

P.S. Ich sehe gerde, ich hab dazu schon mal geschimpft. Hier. 

2 Kommentare:

Arno Nühm hat gesagt…

Sehr gut zusammengefasst!

Die Werbebranche ist hohl, oberflächlich, phrasendreschend, anglomanisch, überheblich, selbstbeweihräuchernd, arrogant und eingebildet?

DAS war mir neu ;-)!

Mir wurde schon anders, als die Plakate in der Stadt langsam immer mehr wurden.
Inhalt ist das eine, das Design dazu das andere Thema...

Vielleicht liegt's an mir, aber ich lese im Logo immer wieder "Neulond".

Anonym hat gesagt…

Kann noch getoppt werden (oder ist’s ’ne gewollte Koinzidenz?):
In Bremen gibt es einen Stadtteil, der "Oberneuland" heisst, richtig Bremisch übrigens "Obernéuland" ausgesprochen, mit Betonung auf der zweiten Silbe.

Es ist kurioserweise der Stadtteil mit der bundesweit höchsten Millionärsdichte.

munkelt
Monsieur P.