(1. Strophe:) In meinem Bücherregel habe ich einen vor ca. 50 Jahren von Hand gebundenen Leinenband, in dem der damalige Besitzer Hilfen und Handreichungen aus der Fachzeitschrift "Der Polypgraph" versammelt hatte. Dieses zweiziegelschwere Buch bündelt jede Menge guter Gestaltung, die sich zwar selten durch kreative Ideen auszeichnet, aber fast immer durch perfekten Einsatz von Typografie, Illustration und Farbe. Selbst traurige Aufgaben wie Todeanzeigen sind erfrischend und erfreulich klar und sauber gelöst.
Und zwar von Menschen, deren Beruf inzwischen ebenso gestorben ist wie sie selbst, nämlich
Schriftsetzern. Im Museum der Arbeit in Hamburg kann man letzten Überlebenden (und einigen Wiederbelebenden) an Montagabenden dabei zusehen, wie sie mit Bleilettern und an alten Maschinen immer noch Beachtliches gestalten.
Wie gesagt, es gibt keine Schriftsetzer mehr.
(Refrain:) Das erledigen heute Mediengestalter am Monitor.
(2. Strophe) Während meines Studiums, vor über 30 Jahren, durfte ich an einer Betriebsbesichtigung der Albert Bauer KG teilnehmen. Besonders beeindruckt war ich von einem ältren Herrn, der vor dem großen Foto einer Frau im Bikini saß, die sich am Rande eines Swimmingpools rekelte.
Er malte ihr mit einem hauchdünnen Pinsel die Hüften schmaler, denn schließlich sollte sie für Coca-Cola Light werben. Dieser Mann war eine Aufsichtsvorlagenhersteller, in diesem Fall eine Positiv
retuscheur.
Die gibt es auch nicht mehr.
(Refrain:) Ihre Aufgaben erledigen heute Mediengestalter am Monitor.
(3. Strophe:) In der ersten Agentur, die mich beschäftigte, lernte ich, unter anderem, dass es eine ganze Horde von Zulieferanten – Betrieben oder Einzelpersonen – gab, die z.B. das Layout einer Anzeige dem angestrebten Eindruck möglichst nahe brachten. Da war ein Mann, der in Schwarzaufweiß belichtete Zeilen auf Fotopapier entgegennahm – die übrigens aus einer Fotosetzerei kamen – und sie so weiterverarbeitet, dass wir sie in der gewünschten Farbe durch Rubbeln auf die Fotoabzüge platzierten, die den Hintergrund der Anzeige bildeten. Bei Philips Trockenrasierern war dieser Hintergrund z.B. eine Art Weltraum mit Neongitterlinien, (inspiriert wohl durch den Film "Tron",) der uns von einem Airbrush-Illustrator geliefert worden war.
Die Fotosetzerei ist pleite, der Rubbelbuchstabenmann macht keine Rubbelbuchstaben mehr (– er steht nicht mal bei Wikipedia –) und wenn ich einen Weltraumfond haben will – dann...
(Refrain:) ...erledigt das alles ein Mediengestalter am Monitor.
(Finale:)
Ja, die Vertreter dieses Berufes haben viel zu tun. Bedenkt man, dass sie auch noch schlecht bezahlt werden, müssen sie also richtig viel (und alles auf einmal) arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Da kann man schließlich nicht auf alles achten. Zum Beispiel auch nicht darauf, ob drei Kaffekannen auf einem montierten Bild wenigstens vom gleichen Kamerastandpunkt aus fotografiert wurden.
 |
Zeitgenössische Warenpräsentation, ca. 2011 |
Wurden sie nämlich nicht.
Bei der hinteren Kanne stand die Kamera etwa auf Tischhöhe, bei der mittleren etwa auf Höhe der Kannenoberkante, und bei der vorderen Kanne gucken wir von oben drauf. Weshalb es so aussieht, als wären die Kannen, von hinten nach vorn, immer weiter dem Betrachter entgegengekippt.
So gesehen ( – wenn man's sieht – ) gibt es kein Grafik_Design mehr.
(Refrain:) Das haben an Ihren Monitoren die Mediengestalter erledigt
(Rezitativ:) Liebe Mediengestalter! Ich weiß ja, Ihr könnt nichts dafür. Ihr seid nur Opfer und Ergebnis der Verhältnisse... also nicht böse sein, Mediengestalter... ...nur vielleicht ein-, zweimal mehr vom Monitor hoch und zur Wirklichkeit hingucken.
...das wäre lieb von euch...
...um der alten Zeiten willen...
...oder auch nur so...
(Schmelzendes Geigensolo und melncholisch tröpfelndes Klavier, langsam ausblenden.)