Die Welt als Wille und Vorstellung

(Von Gastautor Monsieur Porneaux)

Mein Bruder erzählte, er sei einmal mit einem Arbeitskollegen mit dem Auto eine längere Strecke gefahren; man unterhielt sich so über dies & das, als mein Bruder en passant erwähnte, dass er aus der Kirche ausgetreten sei.
Der Arbeitskollege zeigte sich schockiert: "… und was machste dann, wenn Du tot bist?"

Offenbar fragen sich das viele Bundesbürger in letzter Zeit, wenn man der "ZEIT" glauben darf, die dem Thema "Was soll ich glauben?" in den nächsten Ausgaben ausgiebigst Platz einräumen will:

"Die große ZEIT-Serie über Fluch und Segen der Weltreligionen. Erste Folge: Das Christentum. Warum es auch nach 2ooo Jahren noch für Überraschungen gut ist."

Für Überraschungen gut ist schon der Leitartikel zu diesem Thema auf der Frontseite der "ZEIT":
"Am Ende ist das Wort"
- und just dieser munter hingekalauerte Titel rechtfertigt schon eine Erwähnung in diesem Blog.

Der Autor Thomas Assheuer ("kath. Journalist", und bei der "ZEIT" wohl "der Mann fürs Ethisch-religiöse") beschwört eine "Rückkehr der Religionen" und versucht sich an einem Erklärungsversuch, dass nicht der "Kampf der Monotheismen" für die zweifelsfrei derzeit aufblühenden Gewaltszenarien verantwortlich seien, sondern die politischen Verhältnisse, wie z.B. der Zusammenbruch des Kommunismus:
"Sie [die Religionskritiker] suchen die Wurzeln der Gewalt allein in den Ursprüngen der Religion - und fragen nicht nach den Gründen dafür, dass die Glaubensmächte nach dem Fall der Mauer mit Gewalt auf die Weltbühne zurückkehren."
Stimmt.

Es wird von "Religionskritikern" nie die Frage nach dem Zeitpunkt gestellt, an welchem die Religionen anfingen, ihre Macht zu demonstrieren, sondern warum sie überhaupt diese Macht erlangen konnten.
Ganz so wie man nicht fragt, wieso jemand zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Amoklauf gemacht hat, sondern zuallererst, welche Motivation er hatte, woher er die Waffen besorgte, und mit welcher Begründung er seine Ziele benannte.

Das mag vielleicht daran liegen, dass die Religionskritiker eine Position ausserhalb der Religionen einnehmen (auch ausserhalb der christlichen), was Herr Assheuer offenbar nicht einmal probeweise vermag.
Er spricht denn auch konsequent von "Wahrheit" (vermutlich der christlichen):
"In dem Wunsch der Religion den Stachel zu ziehen, steckt die verständliche Furcht vor dem Terror der Wahrheit."

Die Wahrheit.

Nur zur Erinnerung: es handelt sich hier um einen Leitartikel der "ZEIT", nicht um den "Wachturm" oder ein katholisches Sonntagsblatt.

Assheuer hat zudem ein Problem mit der offensichtlichen Bereitstellung von Vernichtungsphantasien, die noch jede monotheistische Religion bisher geliefert hat, und versucht - den Islam wohlweislich aussparend - eine Rechtfertigung folgender Art:
"Judentum und Christentum haben in der opfersüchtigen Antike ihre Stimme erhoben gegen das rituelle Hauen und Stechen, gegen den Teufelskreis aus Rache und Vergeltung."
Nun ja - ich verweise da nur auf die Bibel, die Sache mit den Midianitern.
Hier wird - aus Rache - ein ganzes Volk ausgerottet, alle Männer, alle Frauen und alle Kinder, die männlichen Geschlechts sind - lediglich alle weiblichen Kinder werden verschont und - als Beute - unter den Schlächtern Moses verteilt (4. Buch Mose, Kapitel 31).
Das sind übrigens nicht wenige Mädels, die da verschleppt wurden, es sind - man lese und staune - derer 32.ooo.
Hochgerechnet ergibt das eine Zahl hingemetzelter Restfamilienmitglieder, die grob geschätzt nicht unter 25o.ooo liegen dürfte; wirklich beeindruckend, dieser sanfte Übergang von der opfersüchtigen Antike zur Verbreitung vom "Frieden auf Erden".

DAS ist es, was die von Assheuer bemängelten Religionskritiker bemerken, doch das will dieser so nicht sehen. Er möchte seinen katholischen Standpunkt nicht verlassen, und so verfasst er selbst seine Beschreibung der Religionskritiker, z.B. Richard Dawkins, mit ausserordentlich christlicher Verve - und das ist etwas, wo ich dann doch laut auflachen musste:

"Richard Dawkins organisiert gar einen regelrechten Kreuzzug gegen die Kirche. Er hat das Gottvertrauen in die Religion verloren und hält sie für eine kriminelle Vereinigung, die mit dem Teufel im Bunde sei."

So also sieht ein katholischer Journalist einen Religionskritiker, der lediglich die von der Aufklärung propagierte Trennung von Staat und Kirche einfordert, der für sich - auf Zeus, Wotan, Poseidon, Apollo, etc. anspielend - sagt:
"Wir alle sind Atheisten fast alle Götter betreffend, an die die Menschheit je geglaubt hat. Einige von uns gehen einfach nur einen Gott weiter."
Jetzt interessiert es mich doch sehr, wie die ZEIT-Serie es schaffen will, aus der christlichen Perspektive das Judentum zu beschreiben, den Buddhismus, den Islam, den Hinduismus, und noch so einige mehr.

Sogar den Atheismus. Und hierauf bin ich besonders gespannt. Vielleicht könnte Herr Assheuer dazu dann noch mal …?


Mein Bruder, jedenfalls, ist inzwischen wieder in die Kirche eingetreten.
Weil seine Frau eine ordentliche kirchliche Hochzeit wünschte.
Das ist, wenn ich’s mir recht überlege, ein besseres Argument für die Religion, als es Herrn Assheuer je hätte vorbringen können.

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