Ich möchte bitte keine Sprachsteuerung


Ich habe vor eine paar Tagen bei meinen Mobilfunkprovider angerufen. Ich sollte nicht mehr die Eins oder die Rautetaste drücken, sondern laut und deutlich "Ja" sagen. Oder "Nein". War am Ende aber auch egal.
Von BMW läuft im Moment ein lustiger Werbespot, bei dem das Krümelmonster einfach nur Kekse haben will, aber die freundliche Stimme von "Connected Drive" bietet stattdessen jede Menge Varietäten an und die Route zu den Bäckereien, wo's die gibt.
Ich weiß nicht, ob der jetzt für oder gegen BMW wirbt.
Siri hab ich noch nicht ein einziges Mal nach irgendwas gefragt.


Und jetzt krieg ich Angst vor der neuen Kaffeemaschine im Büro...
Willkommen bei Connected Coffee. Was kann ich für Sie tun?
- Ääh, Kaffee...?
Sie möchten Kaffee. Möchten Sie Espresso, Capuccino, Latte Macchiato oder etwas anderes. Sprechen Sie bitte laut und deutlich.
- Also, äh, Kaffee.
Sie möchten Kaffee. Möchten Sie Espresso, Capuccino, Latte Macchiato oder etwas anderes. Sprechen Sie bitte laut und deutlich.
- Schwarzen Kaffee.
Ich habe Sie leider nicht genau verstanden. Wiederholen Sie Ihre Eingabe bitte laut und deutlich.
- Einfach schwarzen Kaffee. Bloß keinen Espresso!!
Sie möchten Espresso? Groß oder klein? Bestätigen Sie Ihre Eingabe mit Ja oder Nein.
- Nein!!! Kein Espresso.
Einen kleinen Espresso. Gern, einen Moment bitte.
(Fasziniert und auch ein bisschen angewidert gucke ich die Maschine an, bei der sich in den nächsten 30 Sekunden rein gar nichts tut, außer, dass sie etwa alle 2 Sekunden ein leise feucht tickendes Geräusch von sich gibt.)
Bitte platzieren Sie Ihre Espressotasse unterhalb der Ausgabetülle.
(Ich stell meine Tasse dahin, wo ich die Tülle vermute.)
Bitte platzieren Sie Ihre Espressotasse unterhalb der Ausgabetülle. 
(Ich schiebe sie ein Stück nach links.)
...
(Nach rechts. Wieder zurück.)
...
Danke. Beachten Sie bitte, dass Ihre Tasse mehr Platz bietet als für einen kleinen Espresso.
Möchten Sie gegebenfalls alternativ einen schwarzen Kaffee?
Erleichtert seufze ich auf:
- Das wär Klasse!!
Sie möchten Einen Latte Macchiato.
(Ich gebe auf. Latte soll ja auch ganz nett sein.)
Bitte treten Sie einen Schritt zurück, die Milch wird dampfend aufgeschäumt.
(Zischschschzisch, in der kleinen Küche wird die Sicht schlecht, als sich der Nebel verzogen hat, blinkt an der Maschine ein kleines rotes Lämpchen.)
Es tut mir leid, aber ich muss eben Milch ins System spielen. Bitte warten Sie einen Moment.
(Fröhliche Almmusik erklingt, Kuhglocken, Melkgeräusche)
Leider sind im Moment alle Melkplätze besetzt, ihr nächster persönlicher Senn ist in etwa 20 Minuten verfügbar...

Ich gehe genervt an den Kühlschrank und will mir einen Cola rausholen.
Eine freundliche Stimme spricht zu mir:
Bitte nennen Sie vor dem Öffnen Ihre persönliches Mitarbeiterkennwort...

Werde ich etwas alt?

Das will ich doch hoffen.

Post an Wagner

Lieber Franz-Josef Wagner.

(Ach, wissen Sie was? Vielleicht sollte ich – in dem Wissen, dass man schwer betrunken sein muss, um Zeilen wie Ihre hinzukriegen – Sie gleich vom Start weg – haha! urkomisch! – wagnerisch geschmacklos zitieren. Ja, genau das mach ich:)


Liebes Absturz-Opfer.
Im Dröhnkopf an der Schreibmaschine, der Deinen Text jetzt liefern soll, bewegt sich nichts. Was für ein Sabbern, Geifern, Hecheln sonst um Zeilen, Absätzen, Honorare. Doch die Birne, sie bewegt sich nicht, weil tote Bregen nicht mehr denken. Die kleinen grauen Zellen und ihre Restgedanken liegen verstreut, verkrümelt und zertrümmert zwischen Koksstaub und Rotweinflecken im zugesifften Heimbüro herum. „Zwei Babys sollen in den Text und eine deutsche Austausch-Schülerklasse“. Was alles geschah in dieser BILD-Redaktion – bevor sie dich und viele andere Verkomm’ne zu diesem Thema buchten? Knabberten Reporter Nüsse, tranken sie Whisky-Cola und guckten sich professionell gelassen Fotos abgerissner Körperteile an? Nervte der Diekmann, indem er wieder mal euphorisch quengelte? Wie war die Stimmung, wussten sie, dass sie ihr Herz bereits vor Jahren am Bild-Check-In abgegeben hatten? Ich denke, sie spürten nichts, bevor der letzte Rest in ihnen starb. Nette Volontärinnen…

Es ist so furchtbar.
Du möchtest kein Wort mehr darüber schreiben. Und nicht eines weniger.

Herzlos, Thies Thiessen



(Zur Orientierung der Artikel von Franz Josef Wagner aus der Bild-Zeitung vom 25.03.2015:

Liebe Absturz-Opfer,Das Gepäckband in der Ankunftshalle, das Eure Koffer bringen soll, bewegt sich nicht. Was für ein Treiben, Schubsen sonst um Rücksäcke, Samsonites. Das Gepäckband in Düsseldorf bewegt sich nicht, weil Tote keine Koffer abholen. Die Koffer und die Toten liegen verstreut in den französischen Alpen. Zwei Babys waren im Flugzeug und eine deutsche Austausch-Schülerklasse. Was alles geschah in diesem Flugzeug – bevor es abstürzte? Knabberten die Passagiere Nüsse, tranken sie Cola, guckten sie in die Sonne durch das Kabinenfenster? Nervten die Babys, die quengelten? Wie war die Stimmung in dem Flugzeug, das in den Tod flog?
Ich hoffe, sie waren glücklich, bevor sie starben. Nette Stewardessen ...
Es ist so furchtbar. Ich will kein Wort mehr darüber schreiben.
Herzlichst, Franz Josef Wagner
)