Andre hat's getroffen.

Vor ein paar Tagen rief mich mein ehemaliger Studienkollege und immer noch Freund Christian an. Mit ihm habe ich vor über 20 Jahren in einer Band gespielt. Christian ist ein Supergitarrist. Ich hab 'ne ganz ordentliche Stimme und schreibe. Unser Keyboarder hieß Ralf, Nils (gerufen "Niii-eeeels!") saß am Schlagzeug, Uwe spielte Sax und Querflöte und Werner (Wunderle hieß er, was für ein Nachname) den Bass.

Ja, so war das damals mit der Band. Genau so.

Wir waren, wenn ich den letzten auf Cassette gezogenen Probenaufnahmen vertrauen darf, eine recht ordentliche Deutschrock-Band. Und wir hatten viel Spaß.

Die wären wir nicht gewesen, den hätten wir nicht gehabt ohne Andre. (Ja, "Andre", ohne Akzent auf dem e.) Der saß am Mischpult und versorgte uns mit Säulen aus Bass, die durch den Raum dröhnten, mit herrlichstem Echo auf der Querflöte und überhaupt allem, was wir uns so an Klang vorstellten.

Zeichnung aus meinem Skizzenbuch / September 1984
De facto war er das vielleicht wichtigste Mitglied der "Gruppe Karacho" – so hießen wir damals.
Und er hatte, in seiner zurückhaltend-sarkastischen Art, den besten und rücksichtslosesten Witz von uns allen: Nach einer Probe gingen wir im Bergedorfer Wasserturm, um dort noch etwas zu trinken. Andre bestellte sich einen Kaffee. Die Bedienung brachte einen Pott davon, auf dem Tellerchen lagen zwei von diesen Kafeesahnetöpfchen aus Alufolie mit Deckel zum Abziehen. Er warf die Dinger in den Kaffee, rührte um und rief die Bedienung: "Die Milch löst sich nicht auf. Die ist klumpig."

Nach einigen Jahren lösten wir uns auf. Der Schlagzeuger wollte plötzlich professionellen Funk machen, der Bassist Karriere als Pharmaberater. Das Übliche.

Christian hat mich angerufen, weil Andre, einige Zeit nach zwei Infarkten, gestorben ist. Ich hab ihn ca. 15 Jahre nicht gesehen und dann doch vermisst.

Die Band-Reunion dürfte sich sich wohl erledigt haben.






Bei Durchsicht meiner Bücher: Kein Reim drauf.

In einem Notizbuch, dass ich (neben dem Skizzenbuch) oft dabei habe, um ein paar lose Gedanken reinzuschreiben, die ich nicht verlieren will, habe ich drei, nun ja, Gedichte, gefunden.
Sind alle drei nicht fröhlich. Aber mir gefallen sie.

Die ersten beiden gucken auf die Stadt, in der ich aufgewachsen bin,
in der meine Eltern heute noch leben. 

Hier das erste:
Das Haus ist faul,
sein Fundament ist mürbe,
die Mauern angefressen,
ausgehöhlt.

Das Beste ist,
wir reißen's ab.

Gut, es wird eine Lücke geben
und sicher tut es denen weh,
für die es früher groß und sicher war,
die selber größer wurden
und zu groß für dieses Haus.

Und raus.

Wo eine Häuserzeile stand,
gebaut zur Gründerzeit,
in kurzer Jahre Folge,
da siehst Du Schilder
"Hier entsteht".

Und jede Lücke ist Projekt,
ist Warnung, Drohung an die alten
Häuser, Menschen, die noch da sind.
Nicht mehr lange.

Wer jung genug ist, geht,
woanders alt zu werden.

Und aus.

Hier das zweite:

Du bist müde, kleine Stadt.
Dein Kinosaal bleibt dunkel,
die letzten Filme lagern in eingestaubten Dosen
und da ist niemand, der sie sehen will.

Die Tresen werden schmieriger.
es lohnt nicht, sie zu putzen.

Vereinzelt sitzt da wer vor seinem Bier.
Kein Schaum, die Stühle bleiben hochgestellt.

Gutbürgerlich geht lang schon nicht mehr gut.
Und griechisch, italienisch, Döner
macht es auch nicht besser.
Die Schüsseln bleiben leer.

Auf deinen Dächern die Antennen
sind dünn wie Spinnweb.

Das Krankenhaus verwandelt
in ein Pflegeheim.
(Wer wirklich krank ist, verlässt die Stadt
und kommt nicht wieder.
Wer kerngesund ist, sowieso.)

Die Molkerei, seit 40 Jahren zu.
"Wo war denn die noch eigentlich? Ach, da?"
Dein Hallenbad, vor ein paar Jahren hochmodern,
schaut heut mit großen, blinden Fenstern
auf einen Stadtrand, der es blieb,
obwohl als Wohnreserve ausgewiesen,
zu Anfang sogar angepriesen.

Bist alt geworden, kleine Stadt.
Klein geworden, Alte.

Und all die neuen Supermärkte sind Dir fremd,
sind künstlich eingepflanzt,
wie Knie- und Hüftprothesen,
wie neue Zähne, glänzend eingepflanzt.

Sie machen dich nicht jünger.
Aber älter fühlen.


Und hier das dritte:
Da draußen ist kalt.
Ist still.

Hier drinnen trinkt man roten Wein
bei Kerzenlicht und plaudert.
Dummes Zeug dabei, was soll's!
Hier drinnen ist gemeinsam.

Hier drinnen ist gemeinsam.
Da draußen ist einsam.

Hier ist wir.
Da ist ich. 

Das war's auch schon.

Mindestlohn. Dass ich nicht lache.


Über das bekanntermaßen egalweg alles publizierende Portal "dasauge" kriegte ich heute das abgebildete Angebot, mit dem qualifizierte Texter gesucht werden, die bereit sind, für ca. 1,42 Cent pro Wort Artikel zu schreiben.

Die Auftraggeberin selbst ist dabei durchaus großzügig, bietet sie selbst doch Texte schon ab 2,0 Cent pro Wort an, im Nebenberuf und im Rahmen der Kleinunternehmerregelung. Und immerhin ist sie jetzt so erfolgreich, die Selbstausbeutung verschärft weiterzugeben. 
So wie chinesische Unternehmen, die ihre Teile für die amerikanischen Fernseher z.B. in Nepal zusammenschrauben lassen.

Ich dachte immer, ich wäre qualifiziert, aber die Vorstellung, gegen solche "Preise" bei Kunden anargumentieren zu müssen, ist ermüdend. Und wird allmählich Alltag.
Wenn ich mich nicht hin und wieder erfolgreich auf den Unterschied von Content und Inhalt beriefe, ginge gar nichts mehr.

Also lasst mich in Ruhe mit dem Gelärm vom Mindestlohn!